Ein Grundschullehrer aus Niedersachsen verklagt die Schulbehörde, weil er ständig Überstunden machen muss. Der deutsche Lehrerverband beschwert sich über Unterrichtsausfall und Personalmangel an den Schulen. Und eine neue Studie der Universitätsmedizin Rostock zeigt: Zwei Drittel aller Gymnasiallehrer in Deutschland sind beruflich sehr belastet. 74 Prozent vermissen Ruhezonen bei der Arbeit. Die Hälfte leidet unter einem hohen Lärmpegel im Klassenzimmer. Und mehr als ein Drittel der Befragten kann sich nicht ausreichend erho­len. Was macht das mit den Lehrerinnen und Lehrern? Wir haben fünf von ihnen gefragt.

"Wenn die Kinder schwierig sind, liegt das vor allem an den Eltern"

Julia Winkler*, 39, Lehrerin aus Baden-Württemberg:

Ich bin seit mehr als 15 Jahren Grundschullehrerin in einer kleineren Stadt. Mir kommt es so vor, als ob die Kinder heute verhaltensauffälliger als früher sind. Mir ist klar: Wenn die Kinder schwierig sind, liegt das vor allem an den Eltern. Denn die erwarten von mir, dass ich die Erziehung nachhole, die sie zu Hause nicht schaffen.

Viele Kinder können beispielsweise noch nicht mal die grundlegendsten Handgriffe, wenn sie in die Schule kommen. Das sind Dinge wie sich den Po selbst abputzen. Oder sich die Schuhe zubinden. Wenn ich den Eltern rate, das Schleifemachen zu Hause zu üben und für den Sportunterricht Klettschuhe zu besorgen, reagieren viele von ihnen verständnislos. Sie verstehen einfach nicht, warum es ein Problem für mich sein könnte, 20 Kindern vor dem Sportunterricht die Schuhe zu binden. 

Dazu kommt, dass viele Kinder wichtige Verhaltensregeln nicht kennen, wie "Bitte" und "Danke" zu sagen. Sie drängeln sich in Warteschlangen vor und finden das normal. Oder sie stoßen in der Garderobe ein anderes Kind um und merken das noch nicht mal. Wenn dieses Kind dann weint, wundern sie sich, entschuldigen sich erst, wenn ich sie dazu auffordere. Ein Kind spitzte mal im Klassenzimmer seine Stifte, dann warf es den Dreck auf den Boden. Als ich fragte, ob es das bei den Eltern auch so mache, sagte es: "Ja, die Mama putzt das dann weg." Ich machte dem Kind klar, dass weder ich noch die Reinigungsfrau gedenken, es der Mama gleich zu tun. Und dass das Kind nun gefälligst einen Besen holen solle, um den Dreck selbst zu entfernen. Das Kind antwortete: "Warum soll ich das machen, ich bin doch ein Kind." Dann holte es den Besen.  

Von den Eltern kann ich hier nur wenig Unterstützung erwarten. Viele glauben, dass ihre Kinder in allem recht haben. Alle anderen sind immer schuld. Also bin ich es, die diesen Kindern deutlich "Stopp" und "Nein" sagen muss, wenn sie sich unsozial verhalten. Anfangs sind einige der Kinder überrascht, weil sie das nicht kennen. Sie schauen sich noch mal um, ob wirklich sie gemeint sind und probieren es gleich noch mal aus. Es macht meine Arbeit wirklich anstrengend, ständig konsequent sein zu müssen, weil die Eltern es nicht sein wollen oder können.

In meiner Schule gibt es auch viele überfürsorgliche Mütter und Väter. Ihnen reicht es nicht, morgens das Kind am Schultor abzugeben, sie tragen ihm den Schulranzen bis in die Klasse. Man erkennt sie auch daran, dass sie oft versuchen, Probleme aus dem Weg zu räumen, bevor die überhaupt entstanden sind. Es kam schon vor, dass mich Eltern gebeten haben, keinen Test zu schreiben, weil das Kind am Vortag Kopfweh hatte und nicht lernen konnte. Dabei hatte ich das noch nicht mal vor. Solche überbehüteten Kinder sind oft unselbstständig, ängstlich oder frech. 

Viele Eltern setzen ihre Kinder auch sehr unter Druck. Von den Eltern höre ich oft: "Wir wollen aufs Gymnasium." Ich frag dann immer: "Was will eigentlich Ihr Kind?" Und wenn ein Kind dann nicht so gute Noten nach Hause bringt, sind manche Eltern völlig bedröppelt. Sie glauben, dass das Kind ohne Abitur in Zukunft keine Chance hat. Manche weinen sogar. Ich versuche dann, die Stärken des Kindes aufzuzeigen und den Eltern zu vermitteln, dass auch eine Drei eine gute Note ist. Sie bedeutet nämlich: alles in Ordnung. Und ich sage auch, dass Noten nicht das Wichtigste sind. Hauptsache, man ist gesund und hat Freunde und Familie, die einen so nehmen, wie man ist. Die Eltern hören allerdings oft nicht auf mich.    

Zum Glück haben wir einen Sozialarbeiter an der Schule. An den versuche ich solche Eltern zu vermitteln. Er hat die richtige Ausbildung, um auf ihre Bedürfnisse und Ängste einzugehen. Und wenn Eltern sich beschweren, dass ich ihr Kind nicht gut genug behandle, schicke ich sie auch schon mal zur Schulleitung. Die steht völlig hinter mir.